Erzählungen

Bild aus "Die Erzählungen des Rabbi Nachman"

Die „Erzählungen der Chassidim“ entstammen dem Band „Chassidismus III“ (Martin Buber Werkausgabe, Band 18), herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Ran HaCohen, der demnächst im Gütersloher Verlagshaus erscheinen wird. © Gütersloher Verlagshaus, in der Verlagsgruppe Random House, Gütersloh/München

Ich und Du

Man fragte den Radoschitzer Rabbi: »Wie ist es in der Gemara zu verstehn, daß Rabbi Schimon ben Jochai zu seinem Sohn spricht: ›Mein Sohn, genug ist’s der Welt, ich und du‹ ?«Er antwortete: »Es bedeutet, der Wesenssinn der Schöpfung der Welt 20 sei, daß sie sprechen: ›Du bist unser Gott‹, und der Heilige, gesegnet sei Er, spricht: ›Ich bin der Herr, euer Gott.‹ Dieses Ich und

Das Sabbatgefühl

Rabbi Elimelech und Rabbi Sussja verspürten beide, Woche um Woche, vom Kommen des Sabbats an bis zu seinem Gehn, vornehmlich aber wenn sie inmitten der Chassidim beim Sabbatmahl saßen und Worte der Lehre sprachen, ein großes Gefühl der Heiligkeit. Als sie einst beisammen waren, sprach Rabbi Elimelech zu Rabbi Sussja: »Bruder, mich wandelt zuweilen die Furcht an, mein Gefühl der Heiligkeit am

In Ordnung

Es wird erzählt: »Eine Frau kam zum Kosnitzer Maggid und bat um eine Geldhilfe, ihre verlobte Tochter auszusteuern. ›Was kann ich dir geben!‹ beschied sie der Maggid, ›ein Wechselfieber kann ich dir geben!‹ Traurig ging die Frau hinaus. Tags drauf kam eine begüterte Polin aus einer andern Stadt und klagte über ein hartnäckiges Fieber, das sie seit Jahresfrist plage und vor den größten

Der alte Lehrer

Einst fuhr Rabbi Jaakob Jizchak mit einigen Schülern und Begleitern nach einer fernen Stadt. Es war Freitag mittags, und sie mußten schon nah am Ziel sein, als sie an einen Scheideweg kamen. Der Fuhrmann fragte, welche Richtung er einschlagen solle; der Rabbi wußte es nicht und sagte: »Laß die Zügel hängen und die Pferde gehn, wohin sie wollen.« Nach einiger Zeit erblickten sie die ersten Häuser

Der fröhliche Sünder

In Lublin lebte ein großer Sünder. Sooft er mit dem Rabbi zu sprechen begehrte, war der ihm zu Willen und unterredete sich mit ihm wie mit einem vertrauten und erprobten Mann. Viele Chassidim ärgerten sich daran, und einer sagte zum andern: »Wie kann es sein, daß der Rabbi, der jedem zum erstenmal Erblickten sein Leben bis zu diesem Tag, ja die Herkunft seiner Seele von der Stirn abliest, nicht

In den Nächten

In seiner Jugend zog Mosche Löb zuweilen am Abend heimlich andere Kleider an, entfernte sich unbemerkt und nahm an den Vergnügungen einiger Altersgenossen teil, sang und tanzte mit ihnen. Sie liebten ihn alle, und sein hingeworfenes Wort war ihnen ein Gesetz, aber er befahl ihnen nie. Als er nach Nikolsburg fuhr, um bei Rabbi Schmelke zu lernen, gaben sie ihre Gelage auf, weil sie ohne ihn keine

Wie der Sasower die Liebe lernte

Rabbi Mosche Löb erzählte: »Wie man die Menschen lieben soll, habe ich von einem Bauern gelernt. Der saß mit anderen Bauern in einer Schenke und trank. Lange schwieg er wie die andern alle, als aber sein Herz von Wein bewegt war, sprach er seinen Nachbarn an: ›Sag du, liebst du mich oder liebst du mich nicht?‹ Jener antwortete: ›Ich liebe dich sehr.‹ Er aber sprach wieder: ›Du sagst:

Miriams Brunnen

Ein Enkel des bekannten Jakob Fisch, eines zugleich reichen und frommen Mannes, den der Baalschem mit beiden Händen gesegnet hatte, daß er uralt werde, und in der Tat, er wurde hundertunddreizehn Jahre alt und sein Gesicht war jung geblieben, erzählte:»Der Gutshof meines Großvaters lag unmittelbar neben der Stadt Kalew. Einmal, vor Anbruch des Versöhnungstags, schon gegen Abend, als im Bethaus

Die Bestechung

In seiner Jugend war Rabbi Abraham Jehoschua »Vater des Gerichtshofs« zu Kolbischow, und fünf Städte gehörten zu seinem Bezirk. Einst hatte er eine Rechtssache zusammen mit zwei bestochenen Beisitzern zu entscheiden. Da er sich ihren Vorschlägen beharrlich widersetzte, rieten sie endlich ihrem Auftraggeber, er möge dem Rabbi, dessen Unbestechlichkeit alle drei wohl kannten, einen ansehnlichen

Ein großes Volk

Man fragte den Apter Rabbi: »Der Midrasch weist darauf hin, daß Gott zweimal zu Abraham ›Geh dir‹ sagt, einmal als er ihn aus seinem Vaterhause gehen und einmal als er ihn seinen Sohn opfern heißt. Das erklärt der Midrasch damit, auch das erste Geheiß sei, wie das zweite, eine Versuchung gewesen. Wie ist das zu verstehn?«»Als Gott«, antwortete er, »Abraham aus seinem Vaterhause gehen